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Vor 100 Jahren: Baubeginn der Wohnsiedlung Stahlwerk Becker

Die Wohnsiedlung Stahlwerk Becker um 1920

1916 - an allen Fronten tobt der Erste Weltkrieg, alles wird dem Militär untergeordnet. Folglich kommt das zivile Leben in Deutschland immer mehr zum Erliegen. Umso bemerkenswerter ist, was sich im Protokollbuch des Willicher Gemeinderates unter dem Datum 7.September 1916 findet:

„Das Stahlwerk Becker hier lässt nördlich der Anrather Straße eine Kolonie von Beamten- und Arbeiterwohnungen errichten. Die Anlage ist von Herrn Dr.Hecker,Düsseldorf, in sehr ansprechender Art entworfen. Die projektierte Straße in dem betreffenden Gebiet (dabei handelt es sich um die Marienstraße) soll kleine, für die Allgemeinheit unbedeutende Änderungen erfahren, die der Kolonie einen schöneren und intimeren Charakter verleihen."

Der Plan für den Bau einer großangelegten Kolonie für Beamten- und Arbeiterfamilien stammte bereits aus dem Jahre 1908, als der Krefelder Industrielle Reinhold Becker mit dem Bau seines Stahlwerks auf der grünen Wiese im Westen der beschaulichen Landgemeinde Willich begann. Es sollte sich um eine Mustersiedlung nach dem Vorbild des Krupp'schen Kleinwohnungsbau in Essen handeln - mit ausreichend großen Wohnungen samt Gärten und Ställen, einem Kindergarten, einer Spielwiese, sogar ein Tennisplatz und eine Kegelbahn waren vorgesehen. Umgrenzt war das Areal durch die Anrather Straße im Süden, Weststraße, Wegerhofstraße und Marseillestraße.

Dr.Hecker, seines Zeichens Leiter der sogenannten „Bauberatungsstelle Düsseldorf", hatte sich intensiv mit der vorhandenen Baustruktur in Willich beschäftigt und seine Planungen entsprechend angepasst: „Wenn eine Industrie in eine ländliche Gegend kommt und hier Arbeiterwohnungen in Form von himmelanragenden städtischen Kasernen baut, so ist dies vom allgemeinen und höheren Standort aus zu verurteilen, selbst wenn es im übrigen soziale Augenblicksziele verfolgt."

Unmittelbar nach dem Beschluss des Gemeinderates wurden die ersten Baugesuche eingereicht, und zwar für die Beamtenwohnungen Marienstraße 2,4,6 und Werkmeisterstraße 13, sowie die Arbeiterwohnungen Marienstraße 25,27,29,31,33 und Wegerhofstraße 29. Die Baugesuche wurden umgehend genehmigt, Einschränkungen gab es von Seiten der Kriegsamtsstelle: „Die Baustoffe dürfen nur durch Fuhre herangeschafft werden. Zement darf nicht verwendet werden, die Arbeiten sind nur durch nichtdienstpflichtige Leute auszuführen. Frist für die Fertigstellung ist der 15.Februar 1918".

Tatsächlich wurden die projektierten Häuser alle fertiggestellt, wenn auch zum Teil mit erheblichen, kriegsbedingten Verzögerungen. Die Gesamtplanung wurde jedoch nicht einmal ansatzweise vollendet. Auch das lag vor allem am Krieg, aber auch am Niedergang des Stahlwerks in den 1920er Jahren. Der größte Teil der Wohnsiedlung ging durch die Liquidation der Stahlwerke Becker AG 1941 in Privathand über.

Die Wohnsiedlung des Stahlwerks Becker gehört neben der „Kolonie" der Seidenweberei Deuß&Oetker in Schiefbahn zu den erhalten gebliebenen Beispielen für den Wohnsiedlungsbau um 1900 und das Bedürfnis von fortschrittlichen Unternehmern wie Reinhold Becker und Albert Oetker, den Mitarbeitern ihrer Werke einen angemessenen und modernen Wohnraum zur Verfügung zu stellen.