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Vor 50 Jahren - Der Orden der Grauen Schwestern erwirbt Haus Broich

Haus Broich im Jahre 1962

Haus Broich im Jahre 1962Der ehemalige Adelssitz Haus Broich gehört sicherlich zu den bemerkenswertesten Bauwerken in unserem Stadtgebiet - nicht nur aufgrund seiner imposanten Erscheinung, sondern auch seiner jahrhundertelangen, wechselhaften Geschichte. Die Aufstellung seiner Besitzer liest sich wie ein „Who is who" des niederrheinischen Adels, später ließ sich hier ein zwielichtiger Verwandter von Napoleon Bonaparte nieder, gefolgt von einem Kölner Fabrikanten, der Haus Broich durch langjährige Umbauten seine heutige Gestalt gab. Nach dem Zweiten Weltkrieg ließen sich dann die Grauen Schwestern der Heiligen Elisabeth hier nieder - sie sollten die Geschichte von Haus Broich in den nächsten Jahrzehnten prägen.

Vor 50 Jahren, am 4.November 1961, erwarben sie den Adelssitz. Dieses kleine Jubiläum ist ein willkommener Anlass, auf das Wirken der Ordensschwestern zurück zu blicken. Blenden wir deshalb zurück in das Jahr 1946.

Haus Broich gehörte zu diesem Zeitpunkt dem Landwirt Heinrich Schloßmacher, der das benachbarte Rittergut bewirtschaftete. Der Aachener Bischof Joseph van der Velden beschloss, Haus Broich für einen Zeitraum von zehn Jahren zu pachten, um hier eine Tagungsstätte der Katholischen Jugend einzurichten. Die Leitung des Hauses sollten die Grauen Schwestern der Heiligen Elisabeth übernehmen, welche zu diesem Zeitpunkt eine Niederlassung in Beeck / Kreis Erkelenz hatten.

Förderunterricht auf Haus Broich 1952Am 28.Juni 1946 trafen die ersten beiden Ordensschwestern in Willich ein. In den folgenden Wochen scheint die Leitung der Grauen Schwestern jedoch beschlossen zu haben, Haus Broich nicht nur als Tagungsstätte, sondern vor allem als Kinderheim zu nutzen. Galt es doch, für 56 gegen Kriegsende aus der schlesischen Niederlassung Waldenburg nach Bayern evakuierte Heimkinder ein neues Zuhause zu finden. Nachdem noch vier weitere Schwestern als Unterstützung eingetroffen waren, ließ die damalige Oberin, Schwester Elsbetha Zimmermann, die Kinder nach Willich kommen. Ihnen folgten im November noch die Kinder eines vom Orden betriebenen Waisenhauses im schlesischen Langenbielau.

Die neuen Bewohner fanden Haus Broich in einem katastrophalen Zustand vor - der Adelssitz war gegen Kriegsende ausgeplündert worden, der bauliche Zustand äußerst marode. Doch die Grauen Schwestern erhielten Unterstützung von allen Seiten, vor allem aber von der Pfarrgemeinde St.Johannes Anrath. Deren katholische Jugend organisierte die benötigten Bettgestelle, Möbel und Schränke, UNICEF lieferte Strohsäcke, Wolldecken und Bettwäsche, und das Bistum Aachen sorgte für die finanzielle Unterstützung. So konnte bald auch eine kleine Kapelle geweiht werden, in der Wilhelm Wagels seit Januar 1947 als Hausgeistlicher die Messe feierte.

Am 1.August 1949 wurde Haus Broich vom Bistum Aachen ganz als Kinderheim freigegeben, gleichzeitig gaben die Schwestern die Tagesstätte der Katholischen Jugend auf. Am 5.April 1951 erfolgte die staatliche Anerkennung des Kinderheims durch das Land Nordrhein-Westfalen, gleichzeitig erhielt die Einrichtung als Ostflüchtlingskinderheim die finanzielle Unterstützung des Sozialministeriums.

1956 pachtete der Diözesan-Caritasverband das Haus. Gleichzeitig schloss das Mutterhaus des Ordens einen Nebenvertrag mit der Caritas ab, der Haus Broich ganz der Bewirtschaftung durch die Grauen Schwestern überließ. Im selben Jahr wurde das "Johannes-Josef-Kinderheim", wie die Einrichtung offiziell hieß, auch Förderschulinternat für Spätaussiedlerkinder aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten.

In wenigen Jahren war es den Grauen Schwestern in Zusammenarbeit mit dem Bistum Aachen gelungen, Haus Broich zu einer allseits anerkannten Einrichtung zu machen. So war es nur folgerichtig, dass der Orden nach dem Tod Heinrich Schloßmachers von dem Angebot Gebrauch machte, den Herrensitz käuflich zu erwerben und damit langfristig Planungssicherheit zu gewinnen. Der Kaufvertrag wurde am 4.November 1961 unterschrieben, gleichzeitig ging das benachbarte Landwirtschaftsgut an Günter Koof über, dessen Sohn Norbert einst Furore als Weltmeister der Springreiter machen sollte.

Im Frühjahr 1962 begann der Orden mit zahlreichen Baumaßnahmen zur Sanierung und Erweiterung von Haus Broich. So wurde in den Jahren 1963 bis 1966 der Altbau grundlegend umgebaut, zu den Neuerungen gehörten unter anderem ein Aufzug, eine neue Küche samt größerem Kühlraum und eine Ölheizung. Als nächste Maßnahme folgte die Errichtung eines zweigeschossigen Anbaus, der im September 1965 von den Kindern bezogen werden konnte. In jenem Jahr hatte das Kinderheim insgesamt 65 Plätze, von denen 30 mit Förderschülern belegt waren. Auch das weitläufige Parkgelände erfuhr in der Folgezeit eine umfassende Neugestaltung. Bei der Ausstattung der Spielplätze half die in Willich stationierte Einheit der Royal Engineers, die zahlreiche Spielgeräte zur Verfügung stellte. Mit den englischen Soldaten verband die Bewohner von Haus Broich von Anfang an ein inniges, freundschaftliches Verhältnis - die Briten halfen stets wo sie konnten

Karnevalsfeier auf Haus Broich mit Bürgermeisterin Käthe FrankeIm Mai 1975 kam, zu diesem Zeitpunkt überraschend, der erste Rückschlag für das Kinderheim - die katholische Osthilfe gab die baldige Schließung der Förderschule bekannt, da kaum noch Aussiedlerkinder aus den ehemaligen Ostgebieten zu erwarten seien. Bereits zum Schuljahrsende wurde die erste Förderschulgruppe geschlossen, die zweite zum 14.Juli 1976. Die freigewordenen Räumlichkeiten wurden sukzessive mit Heimkindern belegt, die Haus Broich vom Kreis Viersen zugewiesen wurden. Doch auch die Zahl der Heimkinder sollte in den folgenden Jahren kontinuierlich abnehmen. Im Oktober 1986 verließen dann die letzten Kinder Haus Broich und das "Johannes-Josef-Kinderheim" wurde geschlossen.

Natürlich versuchte der Orden als Eigentümer des Hauses umgehend, dieses einer neuen Nutzung zuzuführen. Als "Sofortmaßnahme" wurde noch 1986 ein Kindergarten der Elterninitiative 84 im Gebäude untergebracht, in den Folgejahren beherbergte der Adelssitz außerdem ein Kurzzeitpflegeheim der Caritas. Seit Februar 1995 nutzte der Orden das Anwesen als Geistliches Zentrum. In erster Linie fanden dort nun Krankenpflegekurse für jene Schwestern statt, die in den großen Krankenhäusern des Ordens beschäftigt waren. Im Laufe der Jahre wurde das Angebot um Meditationskurse und ähnliche Veranstaltungen erweitert.

Im Juni 2005 gab der Orden bekannt, das Geistliche Zentrum im kommenden Jahr schließen zu wollen. Am 16.Juli 2006 wurden die letzten noch in Willich verbliebenen Schwestern im Rahmen einer Festmesse in der Hauskapelle verabschiedet. Damit endete das vierzig Jahre lange Wirken der Grauen Schwestern auf Haus Broich. Heute beherbergt der ehrwürdige Adelssitz ein Geldinstitut.