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Vor 200 Jahren: Preußische Soldaten fällen den Freiheitsbaum in Neersen

Franösischer Freiheitsbaum - Zeichnung von Johann Wolfgang von Goethe

Franösischer Freiheitsbaum - Zeichnung von Johann Wolfgang von GoetheFrankreich - Rheinland - Preußen, welch eine faszinierende Dreiecksbeziehung. Da wäre das Rheinland, das Objekt der Begierde, und da wären Frankreich und Preußen, welche beide viele Jahrhunderte lang um das Rheinland buhlten. Das Rheinland war ursprünglich kein zusammenhängendes Territorium, es war aufgesplittert in zahlreiche Bistümer und Herzogtümer - Willich, Anrath, Schiefbahn und Neersen gehörten seit dem 14.Jahrhundert allesamt zum Kurfürstentum Köln, das sich schlauchförmig am linken Rheinufer entlang erstreckte, von Rheinberg im Norden bis in die Eifel. Die meisten Menschen konnten mit dem Erzbischof als Landesherr gut leben. „Es lebt sich gut unter'm Kurhut" war ein geflügeltes Wort jener Zeit.

So ging es bis ins Jahr 1794, als das Rheinland von französischen Revolutionstruppen besetzt wurden. Dieses Frankreich mit seinen Ideen von Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit bedeutete für die Rheinländer anfangs einen totalen Kulturschock, bald jedoch wurde den Menschen bewusst, dass die Franzosen viele positive Änderungen herbeiführten - so war der Code Civil den in Deutschland existierenden Gesetzbüchern Lichtjahre voraus, und die Gewerbefreiheit brach das völlig verkrustete System von Zünften und Gilden auf.

Schließlich kam auch das französische „Savoir vivre" im Rheinland gut an. Wie sagte doch der Willicher Vikar Kamp:

„Der Franzos war nit so bös, als man glaubte, gütiger als der Teutsche. Mit Schmeicheln bekommt er alles: mit Schläg der Teutsche".

Die Franzosen hatten es sich zur Sitte gemacht, in den Orten der neuen Départements am linken Rheinufer Freiheitsbäume aufzustellen. Diese Freiheitsbäume gehen zurück auf eine Ulme in Boston, an dem Amerikaner 1765 aus Protest gegen den britischen Stamp Act zwei Strohpuppen aufhängten. Die revolutionären Franzosen übernahmen diese Idee: 1790 errichteten Jakobiner in Paris den ersten „l'arbre de la liberté", krönten ihn mit der Freiheitsmütze und umtanzten ihn.
So wurde 1795 dann auch vor dem Schloss ein Freiheitsbaum aufgestellt. Nach dem napoleonischen Staatsstreich von 1799 wollten überzeugte Republikaner dem Baum an die Blätter, doch konnte der umtriebige Commissaire Lenders verhindern, dass der Baum gefällt wurde.

Die Jahre gingen ins Land, der Freiheitsbaum stand vor dem Schloss, und die Sympathien der Rheinländer für die französischen Herren ging rapide zurück. Dies hing vor allem mit der Requirierung von Soldaten für die Grande Armee zusammen. Viele rheinische Soldaten zogen mit Napoleon nach Russland - nur wenige kehrten zurück. Nach der Völkerschlacht von Leipzig begann der Rückzug der Franzosen, in der Neujahrsnacht 1814 überschritten die Preußen bei Kaub den Rhein. Kampflos räumten die Franzosen das Rheinland, dafür lagen nun preußische Truppen in den Dörfern.

Und denen waren französische Freiheitsbäume scheinbar ein Dorn im Auge. Vor 200 Jahren bereiteten angetrunkene Kolbergische Soldaten, die den Abend zuvor im Wirtshaus Kother verbracht hatten, dem Neersener Freiheitsbaum ein Ende. Damit war auch das äußere Zeichen für 20 Jahre französischer Herrschaft beseitigt.

Die Preußen sollten sich mit ihren neuen rheinischen Landen sehr schwer tun - fast 80 Jahre lang verband den preußischen Staat und seine Rheinprovinz eine Art gegenseitige Hassliebe, die nur langsam bis zum Ende des 19.Jahrhunderts abebbte.