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Veit Johannes Stratmann - O.T.
Kaltnadelradierungen
Forschend blicken die Köpfe von Veit Johannes Stratmann aus dem Bild. Weit entfernt von einer selbstbewussten, repräsentativen Geste sind sie in intimer Selbstbetrachtung versunken: etwa so wie vor dem morgendlichen Spiegel, wenn man sich selbst zugleich Betrachter und Betrachteter ist, Traumfetzen nachhängt und die Unterscheidung zwischen Realität und Traum noch schwerlich zu treffen ist, die hilfreich wäre, um dieses fremdvertraute Spiegelwesen „ich" zu rufen.
Auf rund 2,5 qm große Leinwände gebannt, treten die Köpfe von Veit Johannes Stratmann dem Betrachter monumental gegenüber. Die Vergrößerung des Kopfes auf ein Mehrfaches seiner originalen Größe verdankt sich aber wohl eher dem Zweifel an der eigenen Identität und dem Wunsch nach genauerer Betrachtung.
Und doch trägt die Vergrößerung nicht dazu bei, dass etwas genauer gesehen werden kann oder sich klarer zu erkennen gibt. Das Gegenteil ist der Fall: Im Detail löst sich der Kopf in ein rhythmisches Konglomerat von Pinselstrichen und letztlich in Farbe auf. Der Malerei ist gestisch nachvollziehbar, aber nur bedingt abbildhaft und zielt ganz sicher nicht auf eine naturalistische Wiedergabe, weil es eben auch gar nicht um etwas in der Realität Existierendes geht, sondern um eine Vorstellung, Idee oder auch nur Ahnung. Es sind keine Portraits, im Sinne repräsentativer Abbilder von lebendigen Personen, sondern die Köpfe, die auf der Leinwand erscheinen, sind inneres Personal, das, indem der Maler aus dem Fundus seiner Erinnerungen schöpft, im malerischen Prozess Gestalt annimmt. Diesen Akt des Erinnerns und Wahrnehmens, eben aus den Fragmenten des Erlebten ein Bild nach eigenen Gesetzmäßigkeiten zu formen, als identitätsstiftend zu erfahren, ist hier Initialzündung für die Kopfbilder, die daher stimmungshaft, atmosphärisch angelegt sind anstatt sich auf eine spezielle Physiognomie zu fokussieren.
Es ist mehr ein Tasten als ein Malen, wenn sich Veit Johannes Stratmann seinen Köpfen nähert. Der eigentliche Schöpfungsakt vollzieht sich im Material Farbe. Indem er Ölfarbe pastos auf die Leinwand knetet, entstehen nicht nur Farbwerte sondern auch haptisch, sinnlich erfahrbare Reliefstrukturen, die den Lichteinfall dirigieren und das Bild aus wechselnden Betrachterpositionen immer wieder anders erscheinen lassen. Mit dem Pinsel tastet sich der Maler mit nahezu gleichförmigem Rhythmus des Duktus vor, um das innere Bild zu fassen. Das aber erscheint nur schemenhaft, um gleich wieder zu entschwinden. So formiert sich auch nicht wirklich Körperhaftes auf der Leinwand, entsteht kein zum Grund klar abgegrenztes Volumen, sondern taucht auch hier das Gesicht, der Kopf nur zeitweilig aus dem Meer der Farbe auf. In fein abgestimmten Farbstufen umspielt der Maler wenige verwandte Farbtöne eines erdig moosigen Kolorits. Immer wieder verschlingt der Grund das auftauchende Volumen, drückt es nieder und lässt Konturen verschwimmen. So als würde man in einem Sandsturm vergeblich versuchen, ein im Wüstensand vergrabenes Gesicht freizulegen. Nicht von ungefähr führen die Köpfe zu landschaftlichen Assoziationen, denn sie umfangen den Betrachter mit dem Totalitätsanspruch einer Landschaft, die den Betrachter sogartig dem illusionistischen Kosmos einverleibt. Interessant ist, dass eben die Landschaft das andere große Thema ist, dem sich Veit Johannes Stratmann parallel widmet.
Was auffällt ist eine deutliche Verwandtschaft in der Physiognomie der Köpfe, auch wenn Hautfarbe und Geschlecht wechseln. Man fragt sich, ob es sich dabei wirklich um unterschiedliche Individuen handelt oder ob die augenfällige Familienähnlichkeit nicht vielmehr so zu erklären ist, dass Veit Johannes Stratmann Vater aller Gestalten ist. Er gibt ihnen etwas von sich selbst, indem er sie erfindet, aber eben nicht als eigenständige Individuen entlässt, denn sie sind flüchtige, temporäre Erscheinungen und damit Zeugen seiner ebenso wechselhaften Befindlichkeiten. Deshalb mögen sie auch kritisch prüfend aus dem Bild herausschauen, ob sie als malerische Invention vor dem Blick ihres Creators bestehen können. Gleichzeitig aber betrachtet sich in ihnen der Maler selbst, manifestiert sich darin etwas von seiner Begegnung mit der Welt, die sich im gestalteten Blick ausdrückt. Die Figuren sind nackt und schutzlos im eigentlichen Sinne, auch wenn sie bekleidet sind, denn sie verweigern jegliche formelle Geste der Repräsentation. Sie haben kein weltliches Amt, keinen Status zu vertreten, sondern eine innere Haltung, einen Aspekt der jedem Geschöpf potentiell inne ist: der Zweifel über das eigene Sein. Und mit diesem Zweifel möchte man nicht posieren.
Neben den Ölarbeiten hat Veit Johannes Stratmann in jüngster Zeit eine Reihe von Köpfen mit Goldstift auf kleinere Packpapierblätter gebannt. Auf den ersten Blick hat man ein glänzendes nahezu leeres Goldblatt vor sich. Die metallische Farbe reflektiert das Licht und verschließt das eigentliche Bild in sich. Erst wenn man es aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet sind minimale Farbwertdifferenzen erkennbar, die nach Grün tendieren und durch Verreiben der Farbpartikel mit dem Finger entstehen. Sie modellieren zaghaft aus dem überirdischen Glanz Gesichter.
Ganz augenscheinlich hat sich Veit Johannes Stratmann dabei auf Ikonen bezogen, deren Goldgrund den Aufenthaltsort der Heiligen in die Transzendenz verlegt. War es gerade bei der traditionellen Ikone der spannungsreiche Kontrast zwischen Abbild und abstraktem Goldgrund, der auch den Doppelcharakter Christi als Mensch und Gott symbolisierte, so ist hier das Gold des Grundes auf die Figur ausgedehnt, die sie förmlich bis ins Unkenntliche überstrahlt. Man fühlt sich dabei eher an die Gründungsikone das „Acheiropoíeton" oder „vera ikon" erinnert, das, wie man glaubte, nicht von Menschenhand geschaffen, sondern von Gott geschenkt wurde. Die schemenhaften Züge Christi erschienen der Überlieferung nach beim sogenannten Abgar-Bild oder Mandylion von Edessa wie von selbst auf der Bildfläche. Diese Bilder sind im übertragenen Sinne insofern nicht von Menschenhand geschaffen, weil es kein Objekt gibt, keine Person, die Modell stand, sondern nur eine Erscheinung oder Vision. So lassen sich auch die Köpfe von Veit Johannes Stratmann, ob in Öl oder mit Goldstift geschaffen, nicht fassen, und entziehen sich dem Betrachter gerade durch die Präsenz des Materials.
Veit Johannes Stratmann, 1960 in Essengeboren, lebt und arbeitet in Krefeld und Düsseldorf. 1989 Studium an der Städelschule, Frankfurt a.M. bei Raimer Jochims und Per Kirkeby, 1989 Meisterschüler bei Per Kirkeby, 1990 Auslandssemester an der Accademia di belle arti, Bologna, 1997-2001 Gründung und Leitung der Freien Kunstakademie Rhein / Ruhr, Essen. Seit 2001 Leitung der Freien Kunstakademie Rhein / Ruhr, Krefeld. 2013 Gastdozent an der Accademia di belle arti, Palermo. 2014 Elenk'Art Residenz Palermo.
Text: Jutta Saum M.A.
Fotos: Lena Kuntze
Art | Städtische Kunstsammlung |
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Künstler | Veit Johannes Stratmann |
Titel des Werkes | O.T. |
Material | Kaltnadelradierungen |
Größe | DIN A 4 |
Anschaffungsjahr | 2016 |
Homepage | www.veit-johannes-stratmann.de |