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Michael Kortländer - O.T.
Pappe
Karton und insbesondere Wellpappe kennt man als Verpackungsmaterial für Objekte aller Art, aber bei Michael Kortländer werden daraus selbst Objekte. Es sind die Materialeigenschaften, die die Kartonagen für ihn zum idealen Grundstoff seiner Wandstücke und Installationen werden lassen. Karton ist leicht, durch seine wellige Innenstruktur formstabil, aber auch elastisch und polsternd. Als Material ist Pappe weitgehend unbesetzt, neutral im Ton, eben materialansichtig, und damit ehrlich und unprätentiös. Zudem lässt sie sich einfach verarbeiten, kann zu Blöcken verleimt und in Form gesägt werden oder eben einfach so verwendet werden, wie sie industriell produziert wird.
Genau letzteres hat Michael Kortländer bei seiner Installation „Shelter" getan. Sehr große vorgefertigte Kartonplatten hat er paarweise zu mehreren, immer gleichen spitzen Zeltformen locker aneinander gelehnt. Profilierte Balken aus verleimter Pappe verhindern am Boden das Auseinanderrutschen, geben aber auch wie ein Schienensystem eine Richtung im Raum vor. Durchkreuzt wird diese Dynamik von leichteren Balken, die quer zu denen am Boden über die Dächer gelegt sind und die einzelnen Objekte optisch zu einer Einheit zusammenfassen.
Leicht gewinnt man den Eindruck eines Zeltlagers, eines temporären Zufluchtsortes, eines Unterschlupfes, wie der Titel „Shelter" anklingen lässt. Michael Kortländer ist aber weit entfernt von einer narrativen, abbildhaften Umsetzung des Themas, vielmehr muss man im Formalen suchen und in Konstruktion, Komposition und Dynamiken denken. Es ist ein Spiel von Tragen und Lasten, von Volumen und Raum.
Michael Kortländer zitiert architektonische Elemente wie Dach, Fundament und Gebälk, aber nimmt ihnen durch die Materialwahl und die labile Balance, in der sich alles zusammenfügt, die Schwere und Beständigkeit. In den sich leicht durchbiegenden Kartonplatten zeigt sich deutlich, wie bedroht die Konstruktion ist. Es scheint nur eine Frage der Zeit, bis sie nachgibt. Hier ist nichts für die Ewigkeit geschaffen, vielmehr lebt die Arbeit von der Spannung zwischen stationärer Häufung gleicher Objekte und der Dynamik der vektorartigen Balken, zwischen Ruhe und Bewegung, zwischen Ort und Weg.
Tatsächlich zieht die Installation, die als Modulsystem konzipiert ist, von Ort zu Ort, wobei Michael Kortländer im individuellen Bezug auf die jeweiligen Ausstellungsituation auch immer neue temporäre Varianten schafft, die den sie umgebenden Raum neu definieren. Die Objekte aus Pappe, die in sich nicht wirklich abgeschlossen, sondern improvisiert und veränderlich erscheinen, entspringen einem gegenstandlosen, geometrischen Formenrepertoire und rücken damit in die Nähe konstruktivistischer Ideen. Da sie statischen Gesetzen gehorchen und funktionalistisch gedacht sind, indem sie in Konstruktion und Material auf die notwendigen Mittel reduziert sind, korrespondieren sie mit der Architektur des Konstruktivismus, die als Übertragung von Malerei und Graphik in den Raum als Skulptur verstanden wurde. So tauchen bei Michael Kortländer Abbreviaturen von Linie und Fläche in Form von Balken und Kartonplatten auf, die sich nun als greifbare Volumina im Raum präsentieren. In der augenfälligen Analogie zwischen Leinwand und aufgerichteter Pappfläche als zentrales Moment der Installation bleibt die Erinnerung an das plane Tafelbild erhalten.
Nicht von ungefähr spricht Michael Kortländer von „Raumbildern", wenn er seine Arbeiten meint, und agiert damit bewusst auf der Grenze zwischen Bild und Skulptur. Sind die einen wie „Shelter" als begehbare Bilder angelegt, so gibt es andere die noch an die Wand gebunden sind. Aus verleimten und mit der Bandsäge geschnittenen Pappschichten erwachsen seine Wandarbeiten, die entfernt an Wappen und Schilder erinnern. Sie bestehen aus mehreren Teilen, die mit einem gewissen Abstand zueinander montiert sind, als hielte sie eine unsichtbare Anziehungskraft für den Moment zusammen. Aber die Formen driften nicht nur optisch in der Wandebene auseinander, sondern schieben sich auch unterschiedlich weit in den Raum vor. Auch hier scheinen weitere Varianten und Zustände denkbar, ist nichts festgeschrieben.
Die Segmentierung der Fläche in Binnenformen, die, ohne sich aus dem übergeordneten kompositorischen Verbund zu lösen, individuell in Richtung Volumen entwickeln, steht dabei im Zentrum. Es ist ein Spiel von Positiv- und Negativformen, von Aussparung und Echo, von Organischem und Rechtwinkeligem. Farbe klärt zusätzlich die Gliederung, indem die Oberflächen zwar malerisch bearbeitet, aber eben nicht illusionistisch ausgeführt, sondern weitgehend monochrom gestaltet sind. Michael Kortländer nutzt die Eigendynamik verschiedener Farbmittel wie Leinölfirnis, Holzbeize und Acrylfarbe, die auf der Oberfläche miteinander zu einem wolkigen Farbkosmos aus stumpfen und glänzenden Partien reagieren. Nur manchmal entdeckt man kaum sichtbar als Lasur hineingesetzte Rechteckformen, als beginne die Teilung der Bildfläche hier erneut, würde die Fläche aufzubrechen und ins Dreidimensionale wachsen.
Michael Kortländer, 1953 in Münster geboren, lebt und arbeitet in Neuss. 1972 - 78 Studium an der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf bei Prof. G. Hoehme, 1978 Meisterschüler. Seit 1978 Arbeiten an "Raumbildern", vornehmlich mit Kartonagen, 1982 - 84 Wilhelm-Lehmbruck-Stipendium, seit 1985 Arbeitsstipendium des Bundes Deutscher Industrie bei der Europa Carton AG Düsseldorf, 1993 - 96 Lehrauftrag an der FH Düsseldorf für Plastisches Gestalten, 1998 Cité International des Arts, Paris
Texte: Jutta Saum M.A.
Fotos: Lena Kuntze
Art | Städtische Kunstsammlung |
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Künstler | Michael Kortländer |
Titel des Werkes | O.T. |
Material | Pappe |
Anschaffungsjahr | 2016 (Schenkung) |
Homepage | www.michael-kortlaender.com |