Stadt Willich

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Kurt Beyerlein - Kind

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Kurt Beyerlein - Versuch einer kunsthistorischen Einschätzung

Ich freue mich, dass das Konvolut druckgraphischer Arbeiten von Kurt Beyerlein, das Radierungen, Lithographien und einige Handzeichnungen umfasst, dank der Kulturstiftung bei der Stadt Willich einen Platz gefunden hat. Das ist aber gleichzeitig eine Herausforderung, sich damit eingehender zu beschäftigen. Die Ausstellung der Heimat- und Geschichtsfreunde Willich e.V. ist ein erster Schritt in diese Richtung, denn sie macht öffentlich, was erworben werden konnte. Die Eröffnung möchte ich zum Anlass nehmen, um eine vorsichtige erste Einschätzung aus kunsthistorischer Sicht zu wagen.

Kurt Beyerlein, geb. 1904 in Mönchengladbach, gehört zu den Künstlern der so genannten „Verschollenen Generation", die bereits in der Zeit der Weimarer Republik tätig waren, aber durch die Kulturdoktrin der Nationalsozialisten an der freien Entfaltung ihrer künstlerischen Arbeit gehindert und zusätzlich verfemt wurden. Die Diffamierung gipfelte in der reichsweiten Wanderausstellung „Entartete Kunst", die 1937 in München eröffnete wurde, und in der Verhängung von Arbeits- und Ausstellungsverboten. Realiter entzog man den Künstlern damit ihre Lebensgrundlage. Vielen bleib daher nur das Exil oder die Flucht ins Verborgene. Ein Großteil der so entstandenen Arbeiten wurde im Krieg zerstört, sodass viele Künstler in Vergessenheit gerieten und trotz Bemühungen der neueren kunsthistorischen Forschung nicht rehabilitiert werden konnten.

Kurt Beyerlein besuchte die Kunstgewerbeschule Krefeld und anschließend die Akademie in Düsseldorf und danach in Berlin, wo er seit 1927 gemeinsam mit seiner Frau Lore seinen Lebensmittelpunkt hatte. Berlin war zu dieser Zeit eine Herausforderung, die Galerien standen den neuen Strömungen eher ablehnend gegenüber und die sich vollziehenden politischen Veränderungen waren bereits deutlich spürbar. Der Künstler George Grosz beschreibt die Stimmung so: „... in Hinterpommern oder Berlin gedeiht kein Matisse. Aber was macht das! Die Luft und alles ist hart, ein wenig ungemütlich und zeichnerisch. Man kriegt leicht Schnupfen und kalte Füße..."

Auch für den freischaffenden Künstler und die Ballettmeisterin Beyerlein wurde das Klima in Berlin zunehmend unverträglich, was sie dazu bewog, 1932 zunächst nach Mönchengladbach zurückzukehren und sich schließlich Ende 1932 in Schiefbahn niederzulassen. „Im Eschert" bauten sie ein Haus mit angeschlossener Landwirtschaft auf und wurden zu Selbstversorgern, was ihnen eine gewisse Unabhängigkeit garantierte. Lore Beyerlein eröffnete eine Ballettschule und Kurt Beyerlein arbeitete freischaffend als Maler, Graphiker und Illustrator. Verkäufe und Aufträge blieben aber, wie auch bei vielen Kollegen, weitgehend aus. Beyerlein nahm die Dinge in die Hand und wurde 1933 Gründungsmitglied der Mönchengladbacher Künstlergruppe „Die Kante", dort tauschte man sich aus und brachte sich als Gruppe in das städt. Kulturleben ein, um darüber Kontakt zu Publikum und zu potentiellen Käufern zu erhalten.

Trotz aller wirtschaftlicher Unsicherheit beschreiben Lore und Kurt Beyerleins in ihrem 1947 publizierten Briefwechsel „Drei Reiche" - aus dem wir später noch etwas hören werden - die Zeit in Schiefbahn „im Paradieschen" als eine glückliche Zeit, verbunden mit intensiver Arbeit. Das endete jäh mit Kurt Beyerleins Einberufung 1941 und endgültig mit seinem Tod als Soldat im Februar 1945 bei einem Eisenbahnunglück in Osnabrück.

In Kurt Beyerleins Werk sind Anklänge an verschiedene zeitgenössische künstlerische Strömungen sichtbar. Dabei prägt ihn zum einen Düsseldorf als Zentrum der stilistisch sehr heterogenen Künstlervereinigung „Junges Rheinland", sowie zum anderen das künstlerische Klima Berlins mit den postexpressionistischen realistischen Tendenzen und der „Neuen Sachlichkeit", die sich zur Hauptströmung der zeitgenössischen Kunst während der Weimarer Republik entwickelte.


Die „Neue Sachlichkeit" bricht mit den verheißungsvollen Zukunftsträumen und dem malerischen Pathos des Expressionismus. Stattdessen entwickelt sich eine neue Nüchternheit, ein Gefühl für das Bodenständige, Machbare und Reelle. Der Kunsthistoriker Wieland Schmid hat es einmal so formuliert:
„Den Blick zu richten auf das Hier und Heute, darum ging es, den Blick aus dem Fenster und auf den Alltag vor dem Haus, den Blick auf die Gasse und in die Gosse, in die Fabrikhalle und in die Schiffswerft, in den Operationssaal und ins Bordell, auch wenn er manchmal nur in den Schrebergarten oder auf eine Bahnwärterhäuschen oder das Glück im Winkel fallen sollte oder hängenblieb an der Wäscheleinenperspektive des Hinterhofmilieus."

Nach dem Trauma des ersten Weltkrieges stand das Leben mit seinen natürlichen und sozialen Zwängen wieder im Vordergrund. Sozialkritische Tendenzen als Reaktion auf gravierende gesellschaftspolitische Umbrüche wurden sichtbar. Das geschah vor allem im Zuge des „Verismus", einer Spielart der „Neuen Sachlichkeit", bei der die Künstler die Probleme der Arbeiterklasse thematisierten, wie z.B. grotesk und satirisch zugespitzt Otto Dix. Es ist unklar, ob Kurt Beyerlein Otto Dix, der sich zeitgleich in Düsseldorf (1922-1924 ) und in Berlin (1926) aufhielt, persönlich gekannt hat, aber es gibt sichtbare Einflüsse auf Beyerleins druckgraphisches Werk. Nicht nur in der bisweilen satirischen Behandlung, sondern auch in der Strichführung und bei der blockhaften, wenig plastischen Darstellung der Figuren, die stets in klaustrophobischen Innenräumen agieren, die perspektivisch aus dem Lot geraten scheinen. Uneinheitlich, krumm und von unvermittelten Brüchen geprägt, präsentieren sie sich als disparat und wenig realistisch, eben eher einer Bedeutungsperspektive verpflichtet als einer realen. Die Beziehung zwischen Figur und Raum offenbart die inneren und äußeren Zwänge. Bei „Mi arme Frau" scheint sich die gebeugte Alte in der Dunkelheit des Raumes spurlos aufzulösen, als hätte sie nie existiert
Beyerlein kippt einem geradezu das Geschehen wie auf einer Bühne entgegen. In seinen Radierungen nähert er sich Alltagsthemen, indem er sie zunehmend surreal übersteigert, als sei der Traum die Quelle seiner Arbeit. Damit rückt er in die Nähe des „Magischer Realismus", einer weiteren Facette der „Neuen Sachlichkeit". Doch anders als im Surrealismus, geht es hier nicht um eine hermetische Verschlüsselung des Geschehens im Phantastischen, sondern darum, die tatsächliche Lebenswelt über die sichtbare Erscheinung hinaus zu deuten und Verborgenes offenzulegen.
Beyerleins Vorliebe für bestimmte Bildthemen- und Motivgruppen deckt sich mit der bevorzugten Ikonographie andere Künstler der Neuen Sachlichkeit, die damit das Lebensgefühl ihrer Zeit ausdrückten: das Leben wird illusionslos und von Sachzwängen bestimmt geschildert. Das zeigt sich bei Beyerlein teils an der Darstellung simpler Dinge wie z.B. den „Rauschegoldengeln", die wenig von der weihnachtlichen Süße himmlischer Wesen haben, sondern die kühle, tektonische Starre der Stanniolfolie wiedergeben, aus der sie gefertigt sind.

Bei Kurt Beyerlein gibt es auch ein festes Repertoire an Figuren und Gegenständen. Da ist etwa der Mann mit Hut, der sich oft im Hintergrund rumdrückt. Herr Röhrscheid (Heimatfreunde e.V.) und ich haben ihn versuchsweise als einen Spitzel gedeutet. Ob das stimmt, sei dahingestellt. Beweise gibt es nicht, aber die bedrückende Stimmung, die er ins Bild bringt, ist unumstritten. Er bleibt ein Fremdkörper, der nicht in das Geschehen eingebunden ist, aber alles im Auge hat. Diesem allgegenwärtigen Beobachter entgeht nichts, er dringt in das Privateste vor und gibt keine Ruhe. Wie die engen Räume steht er metaphorisch für die Bedrängnis und Unfreiheit des Andersdenkenden. Dem wiederum bleibt nur die Flucht an den Rand der Gesellschaft und in ein Leben des kleinen aber erreichbaren Glücks. Das Eigene bedarf des Schutzes, der Tarnung und dessen Darstellung der Verschlüsselung.

Beyerleins „Biergarten", das eigene Haus, der Garten - all das sind Bilder von realen Rückzugsorten. Die Landschaften und Stadtansichten, ebenso Orte aus der eigenen Erfahrungswelt, sind keine Phantasielandschaften im eigentlichen Sinne, aber oft von träumerischer Unwirklichkeit überlagert. So erscheint die „Rheinschleife", die er mehrfach als Auftragsarbeit ausführte, wie eine mittelalterliche Weltlandschaft, als konzentriere sich die Gesamtheit des Universums an einem Ort.

Fast unheimlich, wie eine Vorwegnahme seines eigenen Todes, sind die zahlreichen Darstellungen von menschenleeren Gleisen, Bahnhöfen und Stellwerken. Sicherlich zeichnerisch reizvoll als die Landschaft strukturierende Elemente, wie auch Strommaste und Straßen, aber gleichzeitig auch mit ambivalenten Assoziationen besetzt wie Fortschritt, Reise, Entgrenzung und Vernetzung, aber auch - was Beyerlein vielleicht noch nicht ahnen konnte - mit Krieg, Flucht und Deportation.
Neue Technik und urbanes Leben, im Spannungsfeld von Fortschritt und Unberechenbarkeit, Kontrolle und Chaos, sowie die Auswirkungen der Technisierung und Industrialisierung auf den Menschen und sein Arbeitsleben war eines der großen Themen der Neuen Sachlichkeit. In seinem montageartigen Roman „Berlin Alexanderplatz" von 1929 hat Alfred Döblin dieses Dilemma literarisch bespielhaft beschrieben. Kurt Beyerlein arbeitete zeitweilig in einem Bergwerk, und erfuhr so den Arbeitsalltag hautnah. Das Blatt „Schichtwechsel" stammt aus dieser Zeit.

Kurt Beyerlein hat seine Ansichten oft mit Hilfe christlicher Themen verklausuliert. Man darf davon ausgehen, dass er als gläubiger Protestant bibelfest war und Abweichungen von der klassischen christlichen Ikonographie in seinen Graphiken kein Zufall sind. Das Blatt „Das tote Kind" ist aufgebaut wie eine weihnachtliche Krippenszene. Nur dass eben hier, die einem viel zu kleinen Raum dicht zusammengedrängten Menschen, nicht der Geburt, sondern dem Tod gedenken.

Rätselhaft bleibt aber „Jakob betrügt Isaak". Sie erinnern sich, Esau verkaufte Jakob für ein Linsengericht sein Erstgeburtsrecht und luchste dann noch dem Vater den Segen ab, indem er sich ein Ziegenfell umhängte, damit er dem fast blinden Vater so haarig erscheine wie sein Bruder Esau.
Jakob bedient sich einer List, obwohl Gott seine Mutter Rebekka wissen ließ, dass ihr Zweitgeborener gesegnet sei. Traditionell wird die Geschichte so gedeutet, dass Verrat und Unrecht geschehen, weil Jakob Angst hat und sein Schicksal selbst in die Hand nimmt - anstatt auf Gott zu vertrauen. Warum Beyerlein in seiner doch mehr als prekären Lebenssituation gerade diese Geschichte aufgreift, bleibt spekulativ.


Kurt Beyerlein ist ein Kind seiner Zeit. In seinem Werk spiegeln sich nicht nur die wichtigsten künstlerischen Strömungen der Weimarer Republik, sondern seine persönlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen stehen prototypische für die einschneidenden Veränderungen, die die Machtergreifung der Nationalsozialisten für die Bildende Künstler der „Verschollenen Generation" mit sich brachte.

Vielleicht wundern Sie sich, das einige Arbeiten mit „Nachlass Lore Beyerlein" signiert sind. Dass ist dem traurigen Umstand zu verdanken, dass Beyerlein durch seinen frühen Tod viele Projekte nicht zu Ende führen konnte. So gelang es ihm nicht mehr, fertige Druckplatten eigenhändig abzuziehen. Seine Witwe, Lore Beyerlein, veranlasste einen nachträglichen Druck von den originalen Platten, die sie mit Ihrer Signatur autorisierte. Die fehlende Verbreitung seiner Arbeit zu Lebzeiten hat unter anderem dazu beigetragen, dass er einer breiteren Öffentlichkeit nicht bekannt werden konnte. Heute wächst im Zuge der lokalen Kulturforschung das Interesse stetig. Ein Vorreiter war Christian Fochem, der seit den 80er in seiner Galerie schwerpunktmäßig Künstler aus Krefeld und der näheren Umgebung präsentierte. Darunter war 1984 eben auch Kurt Beyerlein.

Kurt Beyerlein, 1904 in Mönchengladbach geboren, studierte an der Kunstgewerbeschule Krefeld, an der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf und an den Vereinigten Staatsschulen für freie und angewandte Kunst, Berlin. 1927-32 lebte er in Berlin und kehrte 1932 nach Mönchengladbach zurück. 1933-41 lebte er mit seiner Frau Lore in Schiefbahn, im Eschert in einem selbsterrichteten Haus mit Landwirtschaft. 1941 folgte die Einberufung zum Kriegsdienst. Im Februar 1945, nach einem Bombenangriff auf die Stadt Osnabrück, wurde er beim „Aufräumen" auf dem dortigen Rangierbahnhof tödlich verletzt und verstarb. Seine Frau Eleonore verwaltete seinen künstlerischen Nachlass bis in die späten 1980er Jahre.

Texte: Jutta Saum, M.A.

weitere Daten
Art Städtische Kunstsammlung
Künstler Kurt Beyerlein
Titel des Werkes Kind

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